Am Montag, den 19. Mai, stand zur Abwechslung mal Kurpfälzisch auf dem Stundenplan der Friedrich-von-Schiller-Schule. Anlass war das 20-jährige Bestehen des Dachverbands Deutsche Dialekte Baden-Württemberg (DDDBW), der mit seinem Projekt „Mundart in der Schule“ landesweit unterwegs ist. Mit dabei waren bekannte Mundartkünstler wie Charly Weibel und Arnim Töpel sowie vier weitere Dialektliebhaber: Dr. Anton und Ursula Ottmann, Hans Peter Schwöbel aus Mannheim sowie Wolfgang und Rosi Müller aus Söllingen.
DDDBW: mit Herzblut, Humor und Lokalpatriotismus
Seit seiner Gründung macht sich der DDDBW für den Erhalt regionaler Sprachvielfalt stark. Mit über 60 Künstlerinnen und Künstlern im Repertoire organisiert der Verband deutschlandweit Veranstaltungen in schwäbischer, alemannischer und kurpfälzischer Mundart – auf Bühnen, bei öffentlichen Anlässen aber auch in Klassenzimmern. So auch an diesem Vormittag, bei mehreren dritten und sechsten Klassen der Schillerschule. Organisiert wurde der Tag gemeinsam mit dem Verein ‚Unsere Sprachheimat‘, der seit zwei Jahren besteht und mittlerweile über 100 Mitglieder zählt.
Initiator Charly Weibel hat vier Schulen im Einzugsgebiet angeschrieben. Die Reilinger Schillerschule war die einzige, die begeistert zusagte. Eigentlich war nur eine Doppelstunde vorgesehen. Doch aus „a bissel was“ wurde ein halber Projekttag – samt SWR-Fernsehen, das gleich mitdrehte. Organisatorisch zwar ein bisschen holprig, aber das tat der guten Stimmung keinen Abbruch. Die Ausstrahlung des Beitrags ist laut Redaktionsteam für Ende dieser Woche geplant.
Kurpfälzisch klingt – und macht Spaß
Charly Weibel selbst, Reilinger Urgestein und Mundartkünstler, bespaßte die Drittklässler mit eigens komponierten Liedern im Kurpfälzer Dialekt. Seine Botschaft: „Singe kann jeder, des is goa ned schwer!“ Die Kinder sangen begeistert mit, auch wenn nicht jedes Wort sofort verstanden wurde.
Neben dem Gesang durften die Kinder auch rätseln. Auf einem Aufsteller waren typische Wörter aus dem Reilinger Dialekt zu sehen. Eine Schülerin meinte etwa zum Wort „Matzegoggel“, das müsse doch etwas mit Google zu tun haben. Tatsächlich bezeichnet es schlicht die kleinen Körnchen in den Augen nach dem Aufwachen; im Hochdeutschen weniger poetisch: „Schlafsand“.
Dialekt als Heimatgefühl
„Dialekte sind für Kinder cool – bis sie so 13 oder 14 sind“, erklärte Weibel augenzwinkernd. „Und dann erst wieder, wenn sie 50 sind.“ Doch was einmal verschwunden sei, komme nicht zurück. Deshalb sei es so wichtig, die Mundart zu pflegen und weiterzugeben.
Auch Klassenlehrerin Sabine Wendlandt betonte: „Unser Dialekt ist für mich wie eine warme Decke.“ Sie selbst hatte zwei Bücher von Rudolf Lehr mitgebracht, aus denen sie den Kindern vorlas. Für sie sei Mundart mehr als Sprache, es sei ein Stück Identität. Besonders zur Weihnachtszeit werde in ihrer Heimatgemeinde Sandhausen die Weihnachtsgeschichte auf Kurpfälzisch gelesen. „Das gehört einfach dazu.“
„de Ää“, „de Anna“ und „de Häddscht“
In der Klasse 3B war Arnim Töpel zu Gast, Autor, Musiker und bekennender Kurpfälzer. Seit Jahren engagiert er sich für den Erhalt regionaler Sprachkultur. Mitgebracht hatte er sein kurpfälzisches Kinderbuch „Isch, de Krutze“, in dem ein Junge seinen Dialekt mit Hilfe dreier Rentner retten muss: „de Ää“, „de Anna“ und „de Häddscht“. Ein Mädchen dachte spontan: „Das sind bestimmt der Erste, der Zweite und der Letzte.“ Dank Beamer konnten die Kinder den Text mit den liebevollen Illustrationen mitverfolgen. Zwischendurch wurden immer wieder Fragen gestellt und der Autor freute sich darüber: „Ich mag das Format in den Klassen, weil man da viel mehr in Kontakt mit den Schülern kommt.“
Töpel zeigte, dass im Dialekt viel nonverbale Kommunikation steckt: „Un“ kann heißen: Wie geht’s? Wie läuft’s? Gibt’s was Neues“ erklärte er. Auch ein schlichtes „Oh“, begleitet von hochgezogenen Augenbrauen und einem leichten Nicken, könne bedeuten: „Achwas, glaub ich nicht“ – oder: „Da will ich mehr wissen.“
„Es gibt so viele Botschaften, die im Hochdeutsch verloren gehen“, betonte Töpel. Mimik, Gestik, Tonfall – das alles gehöre dazu. Einen Dialekt könne man eben nicht wie eine Fremdsprache lernen. Er lebe vom Klang, vom Gefühl und vom gemeinsamen Sprechen.
Zwischen Hochsprache und Vorurteilen in der Bildung
Auch Dr. Rudolf Bühler, Geschäftsführer des Dachverbands Deutsche Dialekte Baden-Württemberg, war an diesem Tag in der Schillerschule. Im Gespräch erklärte er, warum Projekte wie „Mundart in der Schule“ so wichtig sind und weshalb Dialekte immer weiter zurückgedrängt werden.
Ein Hauptgrund sei das nach wie vor verbreitete Vorurteil, dass Menschen, die Dialekt sprechen, weniger gebildet seien. „Das Hochdeutsch aus der Hannover-Ecke gilt in vielen Köpfen immer noch als einziges korrektes Deutsch“, so Bühler. „Dabei ist das ein Trugschluss.“
Ein weiterer Aspekt: In vielen Klassen wird aus Rücksicht auf Kinder mit anderer Muttersprache vor allem Hochdeutsch gesprochen. „Das ist nachvollziehbar, denn Hochdeutsch ist für diese Kinder der erste Zugang zur Sprache“, erklärt Bühler. „Aber das führt leider dazu, dass der Dialekt im Alltag oft hinten runterfällt. Obwohl er Teil des Lehrplans im Fach Deutsch ist, wird er meist nicht priorisiert.“
Dialekt für mehr Bewusstsein
Ob solche Veranstaltungen langfristig Wirkung zeigen, ist offen. Doch es gibt Hinweise aus der Forschung, dass Mundart mehr kann als nur Heimatgefühl. So berichten Sprachwissenschaftler, dass Dialekt sprechende Kinder ein ausgeprägteres Sprachgefühl und -verständnis entwickeln können. Langzeitstudien der Universität Oldenburg zeigten beispielsweise, dass Kinder, die regelmäßig Dialekt sprechen, bis zu 30?Prozent weniger Rechtschreibfehler machen als ihre rein hochdeutsch sprechenden Mitschüler.
In der Schweiz, wo Dialekt und Standarddeutsch im schulischen Alltag koexistieren, wird die Bedeutung beider Varietäten für die sprachliche Bildung betont. Studien heben hervor, dass die Fähigkeit, zwischen Dialekt und Hochdeutsch zu wechseln, die sprachliche Flexibilität und das Bewusstsein für sprachliche Vielfalt fördert.
Ein Blick über den Tellerrand
Für Charly Weibel, Arnim Töpel und Rudolf Bühler ist klar: Der Dialekt gehört nicht ins Museum, sondern mitten ins Leben und so auch in den Schulalltag. Dr. Bühler wünscht sich mehr Anerkennung und Offenheit im Umgang mit sprachlicher Vielfalt. In der Schweiz, so merkt er an, sei es längst selbstverständlich, dass Nachrichtensendungen im Dialekt gesendet und hochdeutsch untertitelt werden.
Zum Schluss bleibt die Erkenntnis: Dialekt ist mehr als eine Sprachvariante – er ist Identität, Heimat, Gefühl. Und: Er lässt sich sehr wohl kindgerecht vermitteln, wenn man ihm Raum gibt.
Bericht: Rebecca Jankowski